© Stadtarchiv Remscheid

Fundstück

Dem Gaste gehört der Ehrenplatz

Fundstück des Monats Mai 2021

Gästebucheintrag des zehnkäntigen Tisches eines aus Neuginea stammenden Reisenden
© Stadtarchiv Remscheid

„Willkommen beim Wein! Als Gast tritt ein in unseren Verein!“. Mit dieser Inschrift empfing der Freundesbund des zehnkäntigen Tisches seine Gäste. 

Jeder Gast musste sich in das aufwändig gestaltete, in Leder gebundene Gästebuch eintragen und eine persönliche Widmung hinterlassen. Manch einer demonstrierte gar sein zeichnerisches Talent.

Unter den Eintragungen findet sich eine eher unscheinbare Widmung, die jedoch deshalb Aufmerksamkeit erregt, weil sie in englischer Sprache verfasst ist (siehe rechts). 

Mit etwas Mühe gelang es herauszufinden, von welcher Hand der Eintrag stammt: Es handelte sich um den damals 23jährigen Jonas Myndersse Coe Forsayth aus Ralum/Bismarck Archipel. Er war geboren am 14. Juni 1872 in Apia/Samoa und befand sich offenbar auf einer Europareise mit seiner geheimnisumwitterten und skandalträchtigen Mutter, der Plantagenbesitzerin Emma Kolbe (wegen ihres enormen Landbesitzes und ihrer herrischen Art auch bekannt als Queen Emma of New Guinea).

Emma Eliza Coe war 1850 als Tochter eines amerikanischen Konsuls und einer Samoanerin zur Welt gekommen, ging in Australien und Kalifornien zur Schule, kehrte nach Samoa zurück und heiratete ihren ersten Ehemann James Forsayth, den Vater von Jonas Myndersse Coe. Der Vater kam vermutlich bei einem Schiffsunglück ums Leben, und die Mutter ging eine neue Beziehung mit dem Kapitän und Abenteurer Thomas Farrell ein. Dieser war als Geschäftsmann glücklos – um den Gläubigern zu entkommen, zog das Paar nach Mioko, einer kleinen Insel in der Duke-of-York-Inselgruppe im Bismarck-Archipel, und lebte unter anderem von Betrügereien. Ihr Grundbesitz wuchs rasant: er betrug im November 1884 bereits 5000 Hektar Land und reichte bis nach Buka, Vitu, Nissan und Bougainville. Emma war zudem zur Party-Königin avanciert und gab rauschende Feste. Der deutsche Reichskommissar Gustav von Oertzen bezeichnete Emma öffentlich als „Schleichhändlerin“ und „undurchsichtiges Subjekt“, Thomas Farrell hatte er schon als „gewalttätig, verlogen und verleumderisch“ charakterisiert; diese Beschreibung passt im übrigen gut zu den Gerüchten, die sich um den plötzlichen Tod des Kapitäns Rabardy rankten, der Farrell im Wege stand und 1882 in dessen Haus plötzlich und unter ungeklärten Umständen starb.

Thomas Farrell selbst starb 1888, und Emma führte nun als Alleinerbin seine Firma unter ihren Vornamen und dem Namen ihres ersten Ehemannes als E. E. Forsayth & Co. weiter. 1889 beschäftigte sie schon 1200 eingeborene Arbeiter und 50 Weiße auf etwa 12.000 Hektar Landbesitz. Im selben Jahr wurde Emmas Bruder John Coe von Eingeborenen ermordet; Emmas neuer Geliebter Captain Stalio brach zu einer Strafexpedition auf und wurde ebenfalls ermordet. Kannibalismus war in Neu-Guinea übrigens keine Seltenheit. 1894 heiratete Emma erneut, diesmal den fünfzehn Jahre jüngeren, aus Hannover stammenden Angestellten Paul Kolbe, dessen Verbindungen in einflussreiche deutsche Gesellschaftskreise ihr sehr entgegen kamen. Er wurde Aufseher über die Plantagen seiner Frau. Im Jahr 1895 begaben sich Emma und Paul Kolbe auf Europareise, auch, weil die an Diabetes leidende Emma sich die Augen operieren lassen wollte. Emmas Sohn und „Thronerbe“ Jonas Myndersse Coe Forsayth, der seit 1897 Teilhaber ihrer Firma war, begleitete sie auf der Reise. Gewiss bestanden geschäftliche Beziehungen der Remscheider Kaufleute des zehnkäntigen Tisches zu der Plantagenbesitzerfamilie, deren schwerreichen Sohn sie gern als Gast in ihrer Runde begrüßten. Dieser dankte es ihnen mit den Worten: „I have now been in Germany for just six weeks but the most pleasant days of all were spent in the good town of Remscheid, being made welcome and homely by the good + jolly Knights oft the Ten Cornered Table. I here wish them all health, wealth and happiness. JMC Forsayth, Ralum, Bismarck Archipel 21/7/95. Landsmann von der anderen Seite“.

Queen Emmas Leben war buchstäblich der Stoff, aus dem Romane gemacht werden, und wurde tatsächlich mehrfach literarisch verarbeitet. So spektakulär ihr Leben war, so unspektakulär war ihr Tod: Auf einer letzten Reise nach Europa, nachdem sie ihren gesamten Besitz verkauft und Neu-Guinea für immer den Rücken gekehrt hatte, reiste sie ihrem erneut in Schwierigkeiten geratenen Gatten hinterher – beide starben in einem Hotel in Monte Carlo kurz hintereinander im Juli 1913.

Nachdem nun dieser spezielle Gast ausführlich beschrieben wurde, dürfen die Stammgäste des zehnkäntigen Tisches natürlich nicht fehlen. Wie der Autor des Freundesbuches, Dr. Ludwig Kayser, die neun Gefährten jeweils charakterisierte, lesen Sie im zweiten Teil unseres Fundstücks Mai 2021. 

 

Verfasst von: Viola Meike

 

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