© Stadtarchiv Remscheid

Fundstück

„Nix ponjemaje!“

Fundstück des Monats Oktober 2021

Merkblatt für Fronturlauber
Merkblatt für Fronturlauber

Unter den vielen Einzelarchivalien, die sich in keinen Kontext (mehr) eingliedern lassen, befindet sich auch das Fundstück des Monats Oktober. Es handelt sich um ein etwa DIN A 5 großes Blatt holzhaltigen Papiers, das durch mehrfaches Kopieren und vermutlich noch häufigeres Zusammenfalten brüchig und teilweise unleserlich geworden ist. Ein Zettel, den man – wäre man kein Archiv – nach flüchtiger Inaugenscheinnahme in die Papiertonne werfen würde.

 

Nach kurzer Irritation erkennt man den humoristischen Hintergrund des mit „Merkblatt für die Fronturlauber der Ostfront“ betitelten Zettels. Der Text stellt eine Persiflage auf die im Zweiten Weltkrieg ausgegebenen Merkblätter für Fronturlauber dar, die Handlungsanweisungen an die Soldaten auf Heimaturlaub enthielten. Das Oberkommando der Wehrmacht gab diese über die Truppenteile an die Soldaten aus, die sie dann in ihr Soldbuch einlegen sollten. Bei unserem Fundstück des Monats handelt es sich um eine vermutlich in einer Frontzeitung abgedruckte satirische Umformung dieser offiziellen Verhaltensmaßregeln. Es illustriert einerseits die Verrohung der Frontsoldaten, schreibt aber gleichzeitig implizit den Umständen die Schuld daran zu - und damit der russischen Bevölkerung, die als unzivilisiert und barbarisch charakterisiert wird.

Auf der Suche nach näheren Informationen zu diesem kuriosen Fundstück stößt man auf eine Publikation des ehemaligen Verteidigungsministers und bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß über die Geschichte der 2. (Wiener) Panzer-Division. Die Geschichte wird chronologisch erzählt; über den Frühsommer 1942 berichtet Strauß, dass nach langen Monaten Aufenthalt unter primitiven Umständen in Russland und langen Monaten Urlaubssperre endlich die ersten Soldaten in Urlaub fahren konnten. Dieser Urlaub bildete wohl den Sachzusammenhang zum nachfolgenden Abdruck des „Merkblatts für Fronturlauber“, von dem er behauptet, „irgendein Spaßvogel“ habe es herausgebracht.

Dass ein Exemplar davon die Zeiten überdauert hat und sich heute im Bestand des Stadtarchivs Remscheid befindet, haben wir einem Mann namens Willi zu verdanken, der es vermutlich per Feldpost in die Heimat schickte - versehen mit folgender handschriftlicher Notiz:

„Diesen Befehl haben wir schon erhalten, da kann der Urlaub eigentlich auch nicht mehr sehr fern sein! Willi“

Wir hoffen, dass dieser unbekannte Willi seinen Urlaub erhalten hat und nicht wie Hundertausende im bitteren russischen Winter qualvoll verhungert oder erfroren ist, dass er weder getötet wurde noch in Kriegsgefangenschaft geriet, und dass er stattdessen heil und einigermaßen gesund in seine Heimat zurückkehren konnte.

 

Verfasst von: Viola Meike

 

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